Die Music Learning Theory (MLT)
Die Theorie über das Lernen von Musik (Music Learning Theory, MLT) wurde von Edwin E. Gordon (South Carolina University, USA) entwickelt. Sie gründet auf fast 50 Jahren Beobachtung und Forschung. Sie beschreibt, wie der Mensch von den ersten Lebenswochen an Musik lernt. Es sind die gleichen Prozesse wie beim Lernen der Muttersprache.
Wenn wir Musik lernen, entwickeln wir Audiation, ein Begriff der von Edwin E. Gordon geprägt wurde und den geistig-psycho-physischen Prozess beschreibt, welcher uns ermöglicht, Musik innerlich zu hören, zu verstehen und selber zu kreieren, auch wenn sie akustisch nicht präsent ist. Audiation ist für die Musik, was der Gedanke für die Sprache ist.
Musik lernen wie die Muttersprache, was bedeutet das im Kontext der MLT?
Das Kind lernt die Muttersprache von sich aus, auf seine Weise und in seinem Tempo. Die Eltern bringen ihm weder das Denken noch das Sprechen bei. Genauso verhält es sich beim Lernen von Musik. Jedes Kind hat bei der Geburt die Anlage Musik zu lernen. Das Umfeld, die Vorbilder und vor allem die Beziehung zu singenden, tanzenden, musizierenden Menschen sind für eine optimale Entwicklung dieser Anlagen ausschlaggebend. Das Kind, das von klein auf in Musik eingetaucht ist, sich dazu frei bewegen und äussern kann, bekommt die Chance, seinen eigenen musikalischen Wortschatz zu bilden, zunächst hörend, später auch singend im Dialog mit den Erwachsenen und den andern Kindern. Es lernt Musik mit dem Körper, bevor es dies kognitiv tut. Bis zum Schuleintritt lernen die Kinder, mit rhythmischer und metrischer Sicherheit rein zu singen. Sie bewahren und entwickeln Ihre angeborene Neugierde und Freude an der Musik, die Grundlage, um mit dem formalen Lernen zu beginnen.
Das formale Musik Lernen nach der MLT beginnt beim Schuleintritt. Im Mittelpunkt steht ein vielfältiges, nach Gehör gelerntes, mehrstimmig gesungenes Repertoire an Volksliedern und Melodien in verschiedenen Metren und Modi. Das Liedgut und das Verstehen von Metrum, Harmonie und Melodie bildet die Grundlage, um Musik zu lernen und eben um Audiation zu entwickeln. Durch die tonalen und rhythmischen Patterns, den kleinsten sinngebenden Bausteinen der Musik, lernen die Kinder die «Wörter» der Musik zu verstehen und damit zu handeln, neues zu erfinden oder bekannte Melodien umzubauen. Eine äusserst motivierende Tätigkeit, die (musikalische) Autonomie fördert und weit über das Imitieren und das Entziffern und Wiedergeben von Notentexten hinausausgeht. Die Schülerinnen und Schüler lernen Basslinien und zweite Stimmen und üben sich im mehrstimmigen Singen und Musizieren von Anfang an. Was sie singen können, übertragen sie aufs Instrument. Was sie singen und spielen können, werden sie später auch schreiben und lesen lernen.
Das Lernen von Musik ist ein Prozess, der sich im besten Fall ein Leben lang gestaltet und entwickelt. Die Musik wird zu einem persönlichen Ausdrucksmittel und erfüllt so den menschlichen Wunsch nach Kommunikation.